Artikel zu den Sommerwochen 2020: Die dunklen Fenster der Seele

Die dunklen Fenster zum Licht

Ikonen seien Fenster zu einer anderen Wirklichkeit, heißt es. Als Bausteine einer Ikonostase verbinden Sie die Gefühle der Gläubigen im Kirchenraum mit dem Mysteriengeschehen hinter der Altarwand. Einzelnen, herausgehobenen Ikonen darf man auch seine Ehrerbietung mit einer Verneigung und einem Kuss erweisen, um sich mit der Präsenz des Heiligen zu verbinden. So vermitteln die Ikonen das Erlebnis der Durchsichtigkeit (Diaphainie) für das Geistgebiet. Sie sind Fenster zur Wirklichkeit der werdenden Christussubstanz.

Manche Ikonen sind gewissermaßen im Übermaß der Ehrerbietung verschwunden: verdeckt unter aufwendigem Silberschmuck, der in vielen Fällen nur noch einen Gesichtsspalt für die Madonna übriggelassen hat. Nicht selten war es die Gier des materialistischen Zeitalters, die die Farben wieder ans Licht brachte: Wenn die respektlosen Bolschewisten den Silberschmuck abnahmen, kam die ursprüngliche Ikone wieder ans Licht.

Wer weiß also, ob eine dunkle Eichenplanke aus irgend einem nordrussischen Schutthaufen nicht vielleicht doch eine Ikone ist? Heute zeigt der Ultraschall die Tiefendimension, und je nachdem gehen die Restauratoren ans Werk, weichen die oberste Schicht mit einem Ätzmittel ein, entfernen den Lack und dann Schicht für Schicht mit dem Messer, bis die Farben wieder hervortreten können.

Eine solche vielschichtige Angelegenheit waren auch die Sommerwochen spirituelle Ökologie, die 2019 zum vierten Mal stattfanden, nun erstmalig in Russland, an einem der heiligsten und zugleich am meisten verdunkelten Orte Nordeuropas: den Solowezki Inseln, einst weit ausstrahlendes Klosterzentrum im weißen Meer, zwischenzeitlich aber zum »Archipel GULAG« erniedrigt, als Prototyp des Leninschen Systems von Zwangsarbeitslagern. Wer das geistige Echolot ganz in die Tiefe richtet, entdeckt noch eine weitere Schicht: die einer vorzeitlichen Mysterienstätte mit Steinlabyrinthen als Einweihungsorten, mit Drotten (Druiden) als Hütern eines Lichtreiches, das bis in das paradiesische Sonnenreich Hyperboräa zurückreicht.

Was ist vergangen und was kommt erst noch? Was ist hier, in diesem entlegensten Winkel Europas, unter der Obhut des Menschheitsführern Skythianos durch alle Zeitläufte hindurch aufbewahrt für eine ferne Zukunft, wenn eine im Spannungsfeld von Ostsee und Polarmeer neu zu begründende, slawisch geprägten Kultur des Geistselbst in neuer Weise jenes »reinste Extrakt des atlantischen Hellsehens« (wie es Rudolf Steiner nennt) wiederaufnehmen darf ?

 

Klar ist: wir müssen uns mit dem Zeitenstrom selbst als Heilkraft verbinden, wenn wir hier etwas ausrichten oder auch nur verstehen wollen. Und: Am GULAG geht kein Weg vorbei – er ist wie die äußerste Schicht von dunklem Lack und Kerzenruß, der die Ikone bis zur Unkenntlichkeit verdeckt hat.

Wieviel lieber hätten uns unsere russischen Freunde an den Baikalsee geladen oder uns die nun stolz wieder eingegliederten Perlen der russischen Krim gezeigt! Wieviel Überzeugungskraft brauchte es immer wieder im vergangenen Jahr der Vorbereitung, damit Alle bei der Stange blieben und den gemeinsamen Weg durchs Dunkel wagen!

So wurden die ersten russischen Sommerwochen spirituelle Ökologie ein echter Schwellenübertritt, schon im Vorfeld ganz anders als alles, was wir während dreier Jahre in Norwegen erlebt hatten.

 

Der Impuls der Wahrnehmungsschulung hatte uns drei Sommer lang mit nordischer Natur verbunden: erst mit den Wäldern und Fjorden Südnorwegens, dann mit dem Hochgebirge (Riesenheim), und zuletzt mit der Lichtfülle der Mitternachtssonne, auf einer Insel südlich der Lofoten. Nun ging es auf annähernd dem gleichen Breitengrad nach Osten, über schwedische Wälder und den Bottnischen Meerbusen hinweg, über das Kalevala-Land Karelien (das finnische wie das russische) zu jenem Archipel im weißen Meer, jener Eintropfung der arktischen Barents-See in die skandinavische Landmasse –  mit dem dazugehörigen Zustrom klarsten polaren Äthers.

Hier wird alles weit und weich – egal ob das Wasser hell glitzert in der Mitternachtssonne, ob es tiefblau daliegt oder auch dunkelgrau unter Wind und Wolken dräut. So viel Ungeborenheit liegt hier in Meer und Himmel! Selbst da wo einem Landschaftselemente bekannt vorkommen, wie die Schären vor der Küste des Fährhafens Kem, sind sie verhüllter und weiblicher als ihre »Kollegen« weiter westlich in Skandinavien. Weniger herb als in Norwegen erscheinen die Waldseen, dabei aber auch nicht so lyrisch wie in Schweden. Es ist wie der Klang einer kosmisch-peripheren Weiblichkeit, die Werdendes in sich trägt.

Ein  mildes Licht in rauhem Klima, eine geistige Sonne in der Dunkelheit der (Fast-)Polarnacht: Die Menschen die es hierher zog, müssen besonderes gesucht, viel ausgehalten und auch besonderes ausgestrahlt haben. An einer Stelle auf der Insel meinte ich meditativ erleben zu können, wie die in griechischen Hymnen besungenen »Boten aus dem Land der Hyperboräer« vor den Priestern in Hellas standen, Abgesandte eines Sonnenkultus, der zu dem, was in Delos und Delphi, und auch in Dodona, von den Apollo-Priestern gepflegt wurde, eine tiefgeehrte Ergänzung, ja vielleicht sogar dessen  Lebensgrundlage bildete. Fünf junge Männer und zwei Jungfrauen stehen da in langen, hellen Gewändern, Weihegeschenke in der Hand. Sie sprechen kein Wort, doch alles um sie herum klingt. Hoch über jedem Haupt strahlt eine ätherische Sonne, die Ehrfurcht und Liebe bei den Gastgebern weckt, so wie ein Gefühl: »Wir mediterranen Menschen sind hier in die Welt der Formen, in die Verzweigungen der Zivilisation hinabgestiegen. An Euch Fremdlingen aber sehen wir: uns nährt und trägt eine Sonnenwelt, die alles Lebendige hervorbringt – bis in ferne Zeiten.«

Rudolf Steiner sagt hierzu [1]: »Die Hyperboräer haben in Urzeiten von Nordeuropa aus nicht bloß die Griechen geistig befruchtet, sondern vor allem auch die keltischen Druiden. Der Priesterorden der Hyperboräer war die gemeinsame Inspirationsquelle sowohl für den griechischen Apollo-Sonnen-Dienst, wie für die keltisch-germanische Verehrung des Bel (Baldur) oder Sonnengottes. Darum finden wir bei den Barden die hymnischen Kulte der Hyperboräer wieder.«

Waren es Erinnerungen an frühere Erdzustände oder Wahrnehmungen auf einer nicht-physischen Ebene, wenn dem Lande Hyperboräa (»jenseits des Nordwindes«) ein paradiesischer Zustand mit ewigem Frühling und mehreren Ernten zugeschrieben wurden?

Die archäologisch greifbaren frühen Siedler – sie haben Keramik und Steinhaufen hinterlassen – müssen Fischer und Beerensammler gewesen sein, desgleichen die sogenannten Proto-Samen bzw. Ur-Lappen. Dennoch waren die Solovetskij-Inseln unbewohnt, als 1429 die Mönche Herman und Sawati hier erstmals das orthodoxe Kreuz errichteten. Sosima, ein dritter Heiliger kam bald hinzu, und mit ihm die Klostergründung. Das war zu einer Zeit, als der Maler, Mönch und Ingenieur Andrej Rublov die berühmte Ikone der Dreifaltigkeit (die drei Engel beim Gastmahl des Abraham) malte und dabei Impulse der platonischen Akademie in Florenz in die russische Kunst integrierte, ja gleichsam das Urbild der Ikone schuf als Zuwendung der geistigen Welt zum einzelnen Menschen: die periphere Perspektive, bei welcher der Fluchtpunkt im Betrachter liegt, statt draußen am Horizont in der äußeren Welt. Während aber Rublov zu Ehren des heiligen Sergei im Kloster Sergijev Possad malte und erstmals in Russland Bronzeglocken goss, zog es andere Mönche immer tiefer in die Wälder, und immer weiter nach Norden. Die Insel Valaam im Ladogasee[2], die Insel Kischi im Onegasee[3] waren Ausstrahlungszentren für diese stille Mission Richtung Norden – die dann eben auf den Solovetskij-Inseln ihren Höhepunkt erlebte.

Sigismund von Gleich[4] und Herbert Seufert[5] haben darauf hingewiesen, dass die architektonische Anlage des Klosters zwischen Hafen (Meer) und heiligem See dem des Apollotempels in Delos gleicht. Was an diesem Ort wohl früher gestanden haben mag? Auf der Hauptinsel sind Dutzende von Labyrinthen nur noch auf Luftfotos zu erkennen, Ausdruck einer vorchristlichen Schulung, den inneren Weg ganz im Natur-Außen zu gehen. Urzeitlich mutet auch die Klostermauer an. Wie von Zyklopenhänden gefügt sind die Granitblöcke, groß wie Findlinge. Sieben Meter dick ist die Mauer über dem Boden und bis zu elf Meter hoch. Errichtet wird sie (vielleicht aus den Resten vorgefundener Kultstätten?) auf Geheiß des Zaren im 17. Jahrhundert, und mehr als einmal prasselt es Kanonenkugeln auf das Kloster, zuletzt noch während des Krimkrieges durch britische Navy-Fregatten. Erobert wurde das Kloster aber nur einmal: als nämlich die Mönche des direkt dem Patriarchen von Moskau unterstellten Kloster ihre Traditionen nicht einer Kirchenreform opfern wollten und damit zur Festung der »Altgläubigen«-Bewegung wurden. Über sieben Jahre ließ der Zar Solovetskij belagern, und selbst dann fiel es nur durch Verrat aus den eigenen Reihen.

Anders war der geistige Verrat Russlands in der Oktoberrevolution: Den von den westlichen Kriegsparteien wesentlich mitunterstützen Bolschewiki gelang es im Handstreich, die erstarrten Institutionen des Zarenreiches zu erobern und die Volksfrömmigkeit durch eine Art Anti-Religion zu ersetzen, in der die glühende Endzeit-Erwartung in das im Westen vorbereitete ideologische Flußbett des Materialismus umgeleitet wurde[6]. 1920 machte Lenin das abgelegene Klosterreich zum Ort eines sozialen Experiments: durch Zwangsarbeit den neuen Sowjetmenschen heranzuziehen. Zunächst ließ er per Dekret das Kloster schließen und alle Schätze abtransportieren. Wie vielerorts öffnete man die Gräber der Heiligen und machte Sakralbauten zu Verwaltungseinheiten. Dem Komplex war aber noch eine besondere Rolle zugedacht. Hier in der Abgelegenheit des Archipels sollte das »Solovetskij Lager für besondere Zwecke« entstehen – gemeint war die Umerziehung von Dissidenten und Intellektuellen zu linientreuen Sowjetmenschen, durch das Mittel der Zwangsarbeit. So entstand der Prototyp des Arbeitslagers, der GULAG. Einfache Kriminelle wurden zu Kommandanten. Als das Projekt im Chaos zu versinken drohte, besann man sich zwischenzeitlich auf die Fähigkeiten der noch verbliebenen Mönche. Diese hatten ja hier seit Jahrhunderten Handwerk und Forstwirtschaft betrieben, Kanäle gegraben, Bäckerei und Fischfang betrieben, sie kannten die Orte und die Handgriffe. Für eine Zeit des Übergangs durften sie die Arbeit anleiten. Daneben war fast der gesamte Hochklerus von Russland versammelt. Bischöfe wurden Waldarbeiter, der besonders kräftige Priester xxxxxxxxxxxxxxxx erlangte als Fischer Berühmtheit, als er auf hoher See dem Lagerleiter das Leben rettete, der sich leichtsinnig im Spätwinter mit dem Boot ins Treibeis gewagt hatte. Zugleich gab es Schikanen und willkürliche Erschießungen.

Erst gegen die Dreißigerjahre wurde das Lagersystem zum systematischen Menschenverschleiß perfektioniert. Ein internierter Mafioso aus Odessa mit dem deutsch-jüdischen Namen Frenkel hatte in Solovietskij Karriere gemacht und sich zum Kommandant emporgearbeitet. Er überzeugte Stalin von den noch ungenutzten Möglichkeiten eines Arbeitslagers, in dem alle Reste von Kulturleben, Religionsausübung oder auch nur körperlicher Regeneration gestrichen wurden. Zwischenzeitlich sandte man die meisten Häftlinge für den Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals auf das Festland; pro Meter Kanal starb im Durchschnitt ein Arbeiter.

Aus der noch relativ milden Anfangszeit des GULAG ist eine ergreifende Episode überliefert[7]. Vielleicht  war Russlands Zukunft nirgends so stark anwesend wie in der Osternacht 1923 auf dem »Archipel GULAG« mit seinen neun Kreisen der Hölle[8], mit seinen zu Folterkammern umfunktionierten Sakralbauten, seinem perfiden Ausbeutungssystem, seinen Massenerschießungen. War sich Europa bewußt, welches geistiges Licht es seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden, von jener einsamen Insel im Reiche der Mitternachtssonne bekommen hatte? Die Bolschewiki jedenfalls müssen gewusst haben, warum sie gerade hier ihr Anti-Kloster betrieben.

Vater xxxxxx kümmerte das alles nicht. Hatten nicht auch die Gründer des Klosters, die kümmerlichsten Verhältnisse, die größte Kälte ausgehalten, ja bewusst gesucht? Konnte man sich nicht gerade hier im Lager von Mensch zu Mensch begegnen? Leid und Licht sind ganz nah bei einander, durch sie gebiert sich das neue Leben der Erde. – Die Schätze des Klosters waren längst abtransportiert, die kostbaren alten Priestergewänder und Ikonen in einem »Museum des Atheismus« zur Schau gestellt (und dabei paradoxerweise vor der Zerstörung gerettet). Für  eine Nacht durfte nun die Kirche noch einmal geschmückt werden, durften einfache Priester gemeinsam mit entmachteten Bischöfen die göttliche Liturgie zelebrieren. Ornat und Altargerät war mit Sondergenehmigung aus dem Museum geborgt. Die Türen standen weit offen, draußen waren Tausende versammelt, Häftlinge wie auch Kommandanten. Sie alle sahen das Osterlicht.

 

Woher nimmt man die Kräfte, das Dunkle zu verwandeln und das Grauen zu ertragen? Wolfgang Schneider arbeitet seit Jahrzehnten als Geomant an den Wunden der Gaia, dort wo der Erdorganismus schmerzhafte Erinnerungen trägt an Konzentrationslager, Schlachtfelder oder Folterkammern. »Ich gehe nur dorthin, wo es wirklich etwas zu tun gibt. Die Elementarwesen zeigen mir, wo ich ansetzen kann.« Bei den Solovietskij-Inseln war die Sache klar. Ein Bild zeigt ihm die Bedeutung des Unternehmens :  »Solowezki ist wie ein Kristall, der Risse bekommen hat.“ Und weiter: „Es gibt wohl kaum einen Ort, der geistiger ist als das Solowkiarchipel. Hier manifestiert sich der Geist des Nordens. Zeugen davon sind die Labyrinthe aus der Vergangenheit und das Solowezki Kloster. Doch die Geistigkeit wurde durch den Gulag geschändet. Es ist als ob der Kristall des Archipels Risse bekommen hat und als würde der nördliche Impuls für Europa nicht strömen können. Das Straflager ist eine bewußte Verhinderung der Zukunft.“

Andernorts schafft Wolfgang oft Steinskulpturen und Reliefs, um die Heilkräfte des Ortes dauerhaft zu stärken. Hier im weißen Meer verlässt er sich ganz auf die Bewusstseinskraft der Teilnehmer, Russen und Deutsche zu gleichen Anteilen. Dazu kommen die Wesen der Erde und die fortwirkenden Kräfte der Heiligen. Ausgangspunkt aber sind die Anlagen zum verwandelten Menschenleib, wie sie seit dem Auferstehungsgeschehen jedem Menschen zur Verfügung stehen. Wolfgang zeigt, wie man den Phantom- oder Auferstehungsleib meditativ spüren und aktivieren kann, als Krafthülle bis ca. 5 cm außerhalb der Haut. Dazu können gewisse Gesten helfen, zu denen man besonders auf Grünewalds  Isenheimer Altar vielfältige Anregungen findet. Einfacher, dafür mit besonders urbildlicher Kraft sind die Gruß-Gesten auf den orthodoxen Ikonen.  „Erst durch das Zurückblicken auf die Schatten – mit den freien Bewusstseinskräfte in der Wahrnehmung des Leides – lässt sich die Zukunft entfalten. Dann kann sich der Urstrom des Geistigen aus den Labyrinthen und aus der alten christlichen Kultur wieder als europäischer Impuls ausbreiten.“

 

Unsere erste Station ist die große wiederhergestellte fünfstöckige Ikonostase. Immer wieder kehren wir hierher zurück, zur Ikone der Verklärung, zu den Strahlen im Gewand des Auferstandenen, zum rätselhaften Bildnis der Sophia als rotem Engelwesen. Mit solcher Art geistiger Anbindung versehen, begeben wir uns tiefer in die halbrestaurierte Kirche, um wahrzunehmen, was an diesem Ort vor nunmehr fast 100 Jahren geschehen ist. Kugelhagel, Panik, Ströme von Blut: Hier haben die Bolschewisten Hunderte von Häftlingen erschossen, wie wenn sie durch die sakrale Kraft des Ortes dem Terror zusätzliche, schwarzmagische Gewalt geben wollten. In der Tat deckt der weiße Putz nur unzureichend das Grauen, das uns tief aus dem Mauerwerk entgegenschreit. Die gemeinsame Stille schafft ein Gefäß des Friedens, dann geben wir dem gequälten Genius Loci Ausdruck, durch klagende und später befreiende Töne, dazu auch durch die sphärischen Klänge von neuen Musikinstrumenten, wie Saitenspiel von weit her, inspiriert aus dem, was man einst Elementeweben der Kantele in der Landschaft gespürt haben mag. Uns beflügelt dabei die Kraft der Heiligen, die durch die Ikonen einströmt und selbst noch den verblendeten Seelen der Mörder Neuausrichtung und Trost zu geben vermag .

 

Nicht weniger grausam ist der Ort Sikirna (Peitschenberg), eine kleine Mönchsenklave mit Kirche und darin eingebautem Leuchtturm auf dem Erhebung der Insel. Als GULAG-Spezialgefängnis waren hier willkürliche Folterungen und Erschießungen an der Tagesordnung. Besonders beliebt: Gefangene an einen Balken festbinden und dann die Holztreppe herunterstoßen, mehrere hundert Meter tief. Ohne Worte gehen wir die Treppenstufen hinab. Beim Rückweg aufwärts helfen speziell ausgewählte Mistel-Blütenessenzen, das tief eingeprägte Trauma für den Erlösungsprozesse zugänglich zu machen. Alle paar Meter träufele ich ein wenig Christus-Essenz – durch rhythmische Prozesse in der Osterzeit gewonnen – auf die Holzstufen.

Es gab auch Todesurteile, die sich langsamer vollzogen. Der Schlafsaal war auch bei bis zu -30° ein unbeheizten Raum ohne jede Unterlage. Die Gefangenen legten sich kreuzweise übereinander auf einen großen Haufen, um die Winternächte zu überstehen. Wer ganz oben oder außen lag, musste erfrieren; die ganz unten erstickten.

Keiner der Nachbarinseln, keine der Kirchen und Einsiedelei ist verschont vor dem Zugriff des System GULAG. Für unsere Heilarbeit wählen wir nur die wichtigsten »Akupunkturpunkte« im geistigen Organismus von Solowezki. Dazu gehören auch die Labyrinthe auf der »Haseninsel« (einst Frauengefängnis), in die Landschaft eingebettet als Zeugnis der urzeitlichen Verehrung der dreifachen großen Göttin – und zugleich Schulung der Ichkraft beim Gehen auf verschlungenen Wegen. An der großen Bucht auf der Ostseite der Insel können wir besonders das Herzorgan der Insel erleben. Der Blick über den heiligen See auf das Kloster zeigt uns jeden Tag, wie weit die Verwandlungsarbeit angenommen worden ist, wie die Kräfte der Zukunft einströmen in die Verwerfungen der Gegenwart und Vergangenheit.

Nach drei Tagen haben wir getan, was wir gemeinsam tun konnten. Zum Abschluss binden wir Kränze aus Löwenzahn. Die Russinnen sind darin sichtlich geübt. Doch diesmal bekommt niemand einen Geburtstagskranz auf den Kopf gesetzt, vielmehr legen wir die Kränze als »Schiffchen« ins Meer, in das Hafenbecken vor dem Klostertor. Die Elementarwelt geht freudig ein auf unser kleines Geschenk und lässt die Blumen sanft im Wellenspiel dahintreiben.

Damit ist Wolfgang verabschiedet – er wird gleich anschließend mit einer Schulklasse ein bildhauerisch-geomantisches Projekt in einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager bei Berlin durchführen. Hinterlassen hatte er uns ein Instrumentarium der meditativen Heilarbeit, das wir gern auch später wieder anwenden werden.

 

Nun geht unser Weg zunächst einmal für vier Tage zum Fährhafen Rabocheostrosvsk auf dem Festland. Der Name heißt sinngemäß »Arbeits-Halbinsel«, denn hier war das Auffanglager, von dem aus die Gefangenen nach Solovkij verschifft wurden.

Für uns ist es der Ausgangspunkt mehrerer Bootsexkursionen auf die unbewohnten Felseninseln des Kuzova -Archipels, um die Festeszeit zwischen Sommersonnenwende und Johanni zu begehen. Wie kann man ein so »heidnisches« Fest neu finden, wie den Ausatem der Erde in den Kosmos bewusst begleiten? Gunhild von Kries bietet uns einen künstlerisch-meditativen Weg an, der den nunmehr vertraut gewordenen Heilstrom aus der Zukunft in einen landschaftsmusikalischen Kontext bringt. Ende des letzten Jahrtausends empfing sie im Kalevala-Land Karelien – auf der finnischen wie auch auf der russischen Seite – die Inspiration zum Bau von neuen Musikinstrumenten, in Substanz und Formgebung ganz aus den Umkreiskräften der nordischen Natur geschaffen. Feingeschnitzte, konvexe und konkave Formen bringen dabei die Planetenkräfte der Hölzer zur Entfaltung. Die gesteigerten Wahrnehmung im Erlauschen der feinen, wie von weither einströmenden Klänge kann zusammenfließen mit dem Ätherstrom der jeweils gegenwärtige Naturkräfte, -Wesen und kosmischen Konstellationen.

Im Anfang war die Zukunft!

 

Aus diesen Klängen entstand am Johanni Tag unter anderem folgende überraschende Imagination: Menschenbewusstsein erstreckt sich wie zwei Silberstrahlen schräg nach oben und spannt zwischen sich einen geistigen Raum auf. In diesen erscheint nach einiger Zeit ein riesiges Antlitz, ernst und doch gütig, zweidimensional verwoben mit dem Umraum, ohne äußere Kontur. Unterhalb in der Erde ist eine wellige Lebensschicht, noch tiefer aber und zu allen Seiten umhüllend webt die Sophia.

Ich merke: die Begegnung mit dem Sophia-Wesen – hier wie auch schon zuvor auf Solowezki – ist überraschend und ergibt sich doch stimmig aus dem, was hier am Ort lebt. Sie ist wie überall gegenwärtig in der Landschaft, wie eine alles durchziehende feinste Substanz, die man erahnen und »schmecken« kann, die man aber auch gleichsam andächtig belassen möchte in ihrem Zukunftsraum. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen, und doch ist sie schon dar. Es tut gut, das Zukünftige so deutlich zu fühlen – da fällt es einem leichter, geduldig-aktiv einer Geistselbst-Kultur entgegen zu arbeiten. Den ernsten kosmischen Blick des Uriel können wir uns dabei selbst zu eigen machen, können selber tief in die Erde schauen und so tiefer als je sonst im Jahreslauf Kommunion mit der Natur halten. Denn dieser Blick beruht auf Gegenseitigkeit: genauso durchdringend schauen uns jetzt die Pflanzen und Tiere an. Blicke auszutauschen mit der Natur wird so zur Grundlage einer neuen Festesgestaltung…

Dabei ist die Natur nicht überall gleichermaßen zugewandt. Bei einer Exkursion in den Schären for Rabocheostrovsk treffe ich den »Inselkönig«, ein uraltes hohes Erdelementarwesen, das in einer schroffen Felswand verankert ist. Für ihn scheint die Zeit stillzustehen. Wie kann ich ihm »erzählen« von dem Neuen, das sich in der Ätherwelt in diesen Jahren ereignet? Indem ich selber »bin«, was ich spüre als Heilstrom aus der erlösten Erdenzukunft: eine Quintessenz, eine »neuer Aggregatzustand«, gewoben aus Bewusstseinskraft, leiderrungenen Erfahrungen und zugleich geschenkt durch den allseits wachsenden Christus-Äther in der belebten Natur. »Im Anfang war die Zukunft!«, wie Gunhild sich ausdrückt.

 

Freundschaft als Schlüssel

 

Nach dem Johanni-Intermezzo  geht es in neuer Besetzung zurück  zum Solowezki Archipel. Die neuen Kursleiter Dirk Kruse und Wolfgang Körner  und die neuen Kursteilnehmer haben bei der dreistündigen Überfahrt Gelegenheit,  sich freundlich zu beschnuppern  und gemeinsam das Programm der nächsten zehn Tage abzusprechen. »Rollende Planung« ist uns nun schon vertraut: auf russische Weise beweglich und improvisierend mit dem unvorhersehbaren Wetter und den organisatorischen Herausforderungen umzugehen. Die Anti-Terror-Gesetze erzwingen aufwendige Registrierungen aller ausländischen Besucher – die aber nur auf dem Festland möglich sind. Unsere Gastgeber haben dafür ein ausgeklügeltes Botensystem entwickelt, mit dem Pässe und Passfotos hin- und her geschickt werden. »Drusia«  ist das Zauberwort:  Freunde und Bekannte, die einem einen Gefallen tun, Menschen vor Ort, die einen Ausweg wissen. Ähnlich ist es bei den Unterkünften.  Unsere AirB&B -Gastgeberin der ersten Woche, Natalia, kümmert sich um alles, von der Wäsche bis zum Internet, und vor allem: Sie vermittelt uns private Gästezimmer und Ferienwohnungen, sodass wir teure, anonyme Hotels umgehen und zugleich noch einen authentischen Einblick in den Alltag der Inselbewohner bekommen.

»Komm herein, möchtest Du einen Tee?«. Früher hat Natalja die Klosterbäckerei betrieben, heute kocht sie mit überbordende Liebe für ihre Sommergäste. Die Saison ist kurz, von Mitte Juni bis Ende August. Da schläft sie im Feldbett in der  winzigen Küche  (was bei ihrer Leibesfülle  gar nicht so leicht vorstellbar ist)  und ist von morgens sechs bis nachts um eins auf Draht. Dennoch strahlt sie jedes Mal  die gleiche Freude aus, wenn sie die Tür öffnet. Ich schäme mich, wenn ich zwischendrin mal keine Zeit für eine Tasse Tee habe. Und verspreche, ihre Adresse weiterzugeben für den nächsten Sommer.

Für das letzte Modul der Sommerwochen ist sie leider schon ausgebucht, hat uns aber Ferienwohnungen bei  Freundinnen in der Nachbarschaft organisiert. So zum Beispiel bei Elena, der Inselärztin. Wie viele andere Einheimische hat sie die eigene Wohnung geräumt und ist zu ihren Verwandten ausgewichen, hat  ihren Kram zusammengeschoben und einige Schranktüren zugeklebt. Der Rest steht uns zur freien Verfügung. Das Leben beruht auf Vertrauen von Mensch zu Mensch.  Für alle Komplikationen der Bürokratie gibt es menschliche Auswege  bzw. Abkürzungen.

Die Regierung hat die Verwaltung der Insel  mit seinen unzähligen Denkmälern  dem »Inselmuseum /archäologische Verwaltung« übertragen , d. h. de facto dem Abt des Klosters und seiner Managerin (die übrigens auch eine unser Zimmerwirtinnen ist).  Alle Exkursionen gehen durch das Klosterbüro  und haben zwangsläufig  einen Führer.  Da wir nach der ersten Woche als zwar nicht rechtgläubig aber doch gute Christenmenschen eingeführt sind,  dürfen wir – große Ausnahme! – unsere Touren selbst gestalten und den Führer bis zur Rückreise  am vereinbarten Treffpunkt parkieren. Das kommt uns sehr zugute bei dem, was nun im dritten und letzten Modul der Sommerwochen Hauptanliegen ist: die vertiefte Wahrnehmung der Landschaft mit allen Sinnen und auch allen übersinnlichen Organen. Vom Klosterkomplex mit Hafen und  heiligem See ausgehend, ziehen wir immer weitere Kreise.  Der Höhepunkt  ist Anzer, die zweitgrößte Insel, die wir nach dreistündiger Bootsfahrt erreichen. Ein nie zuvor erlebter Ätherfrieden kommt uns von den milden Wiesen und Wäldern entgegen. Alle spüren die Kostbarkeit  dieser »Substanz«, egal wie geübt der eine oder andere in der Beobachtung von Bildekräften ist.  Wir verweilen spontan am Ufer und lassen die geführte Reisegruppe alleine weiterziehen. Deren obligatorischer Gang führt zur Inselmitte mit »Golgatha«-Berg und Einsiedelei des Heiligen Job (in GULAG-Zeiten Spezialgefängnis für Abweichler vom linken politischen Spektrum, später auch Typhus-Abteilung).

Hierher zogen jene Mönche, die ein noch strengeres Leben als im Koster führen wollten, zum Beispiel in völligem Schweigen. Vielleicht waren die Lebensbedingungen in der Einsiedelei zeitweise nicht weniger hart als im GULAG? In jedem Fall waren sie frei gewählt und getragen vom Frieden des Gebets. Waren es die Asketen, die der Insel diesen paradiesischen Zauber gegeben hat?  Oder fanden die Heiligen  bereits den Ätherduft der Drottenmysterien vor, als sie hierherkamen?

Plötzlich stehen wir vor einem Steinlabyrinth von gewaltiger und dabei milder Ausstrahlung. Wir haben gefunden ohne gesucht zu haben. So waren seit jeher die Gralsburgen verborgen und offen zugleich.

Gralsluft ist es, die auf Solowezki weht[9]. Nicht die  der historischen Orte in den Pyrenäen oder Südengland; auch vom  nordischen Sampo  ist eher nur ein Anklang vorhanden.  Der hiesige Gral gehört noch ganz der Zukunft an, ist nur in feinster Verdünnung in der Weite spürbar; einerseits andeutungsweise webend  in dem, was Mensch und Mensch zu Freunden macht, andererseits, bis zur Ausbildung unserer sozialbewussten Fähigkeiten, wie in geistiger Verwahrung eines Sophia-Wesens, das Meer und Licht und jeden Grashalm durchzieht.

Eine kleine Spaziertour vom Kloster entfernt liegen die zauberhaften Felsstrände an der Südspitze  Solowkijs. Unter Birken ist wohlwollender Undinen-Frieden. Ein Schwarm von Sylphen spielt um die vielen Seeschwalben, die stundenlang über der Bucht dahinjagen, stille stehen und dann kopfüber ins Wasser schießen.

Eine ätherische Leiter verbindet Mensch und  Naturgeister, bis hinauf zu den höchsten Hierarchien.   Auf einem Steinensemble stehend,  wird der Horizont durchsichtig für den Blick der Schicksalsmächte. Diesen Blick gilt es auszuhalten, aufrecht stehend im eigenen Leben  – und dabei fühlend wissen: die Elemente um mich herum weben meine Existenz, Ich bin diese Erde.

Wieviel klarer können unsere Lebenswege – gerade auch im sozialen – werden, wenn wir regelmäßig solche Orte aufsuchen, um immer wieder die Kohärenz von innen und außen  wiederherzustellen!  Wäre das nicht Mindfulness auf Rosenkreuzer-Art,  eine Achtsamkeitspraxis, die die Natur bewusst mitnimmt in die Entwicklungen, Strebungen und Wirrungen der Menschen?

Auf Anzer erleben wir geradezu heilige Elementarwesenwelten. Geht es auf das Wirken der bzw. eines Eremiten zurück? Drei Tage gehen wir mit Dirk Kruse die Stufen seelischer Beobachtung durch. Wie fühlen uns so stark mit den kosmisch begnadenden und ermächtigenden Seelen verbunden, dass daraus die Verabredung zu einer gemeinsamen deutsch-russischen Morgenmediation entsteht.

Am letzten Tag  schenken wir diesem Ort der Naturbegegnung  das biodynamische Hornkiesel-Präparat. Der Eurythmist und Bildekräfteforscher Mikko Jairi leitet die Arbeit aus langjähriger Erfahrung an: eine gewisse Choreografie  von Gesten und stillen Pausen, die Impulse aus der Peripherie »hereinholt«, während immer einer von uns (abwechselnd, ohne Absprache) still und stetig rührt.  Zuerst kommen die untersonnigen Planeten, sie »öffnen« den Umkreis; in einem zweiten Schub schaffen Mars, Jupiter und Saturn die Anbindung an die erste und zweite Hierarchie.  Beim Astralkreuz  der vier »fixen« Tierkreisbildern (bzw. der vier Evangelisten) geht ein Ruck durch das Geschehen. Nun sind alle Himmelsrichtungen beteiligt, Meereshorizont und Wald auf ganz verschiedene Weise. Als wir das Elixier mit einem Preiselbeerzweig ausbringen, löst sich die andächtige Stille in Jubel und Heiterkeit – auch bei uns Teilnehmern.

Am nächsten Morgen – es ist der Tag der Abreise – ist das Geschehen nur noch tiefer eingeflossen in die Landschaft. Wie ermutigend, wenn die Elementarwelt unsere noch so bescheidene Impulse aufnimmt, verstärkt und  in fortdauerndes Wandlungsgeschehen überführt!

 

Rudolf Steiner nannte Meditation einmal »die einzige wirklich freie Tat des Menschen«. In jungen Jahren legte er die Grundlage der späteren Anthroposophie, indem er erkenntnistheoretisch einen Freiraum erkämpfte für das »Handeln aus Einsicht«,  aus »Liebe zur Tat«.  Spirituelle Ökologie  geschieht dann, wenn dies beides, inneres Gewahren und äußeres Handeln,  zusammenklingt mit dem Naturumkreis. Solche Zusammenklänge und seelischen Kohärenzen haben sich während der Sommerwochen immer wieder ergeben. Es entstanden Übfelder einer neuen Kultur der Kooperation zwischen Mensch und Naturgeistern. Gerade im Norden Europas, wo das Bewusstsein für das Verdämmern der alten Götterwelt geschärft ist, können wir durch die „Befreundung“ mit den Wesen der belebten Natur an der Äthersubstanz der neuen Erde bauen – mitten in den sozialen Zusammenbrüchen der Gegenwart.

 

Schön wäre es, wenn auf diesem Wege der Wortschatz deutscher Lehnwörter im russischen erweitert werden könnte. картофель »Kartoffel«, штраф »Straf«, масштаб »Maßstab« und  (immerhin!) ландшафт »Landschaft« zeigen die Bemühungen von (mehr oder weniger deutschstämmigen) Zaren,  mitteleuropäischen Ingenieurgeist im Bauernland ansiedeln wollten. Vielleicht können demnächst Wörter wie „Erdatem“ und „Christus-Elementarwesen“ hinzukommen?

 

Westmenschen aber könnten gerade in der russischen Landschaft die Diaphainie  des sinnlich gegebenen erleben. So mag jeder Baum gleich einer Ikone durchscheinend werden  für die geistige Welt, die sich wohlwollend  dem Menschen in seiner Freiheitssuche zuwendet.

 

Nachklang

Einen ganzen Tag lang tuckert der „Express«-Zug von Kem nach Moskau. Der Hochgeschwindigkeitszug (Made in Germany, Marke Siemens ) geht zwar dreimal so schnell, aber ich gönne mir die ruhige Rückkehr aus der Mitternachtssonne in irdischere Gefilde. Das Geschick will es, dass ich in der Nähe des Flughafens bei einem anthroposophischen Übersetzer und Heilmittelhersteller zu Gast bin, der selbst viel von Solowezki zu erzählen hat. Mit 19 Jahren durfte Andrej als junger Biologiestudent einen Sommer lang Führungen für Kommilitonen der historischen Fakultät machen. Damals in den achtziger Jahren  hingen an den Klostermauern noch die rostigen Schilder U SLION : Solowezki Lager  xxxxxxx

 

Auch die Schlafsäle stammten noch aus der GULAG Zeit. Wenn er wieder mal fröstelnd erwachte, stellte er sich vor, ob hier vielleicht Pavel Florenskij[10] geschlafen habe, jener »russische Leonardo da Vinci«, Universalgenie und Lichtgestalt im finsteren 20. Jahrhundert, mit der Stadt Florenz im Nachnamen. Er war Priester und Mystiker, Ingenieur und Wissenschaftler zugleich. Für die Sowjetunion musste er die ersten elektrischen Anlagen konstruieren – Lenins Devise folgend, dass »Bolschewismus gleich Marxismus und Elektrifizierung« sei. Er war anerkannt,  gebraucht und gefoltert – auch auf Solowezki, wo er die Jodgewinnung aus Meeresalgen entwickelte. Der Nachwelt hinterlassen hat er die monumentale Schrift »Fundament und  Beweis der Wahrheit«  – Naturwissenschaft, Farbenlehre und Sophiologie  in einem. Von ihm stammen die die tiefsinnigsten Betrachtungen zum Wesen der Ikone.

 

 

Raphael Kleimann, Julli 2019

 

 

Die Sommerwochen spirituelle Ökologie 2020 werden grenzüberschreitend im Land der Kalevala stattfinden: vom 27. Juni bis 1. Juli 2020 in Koli, dem Nationalheiligtum Finnlands und Perle der Karelischen Seenplatte; dann bis 7. Juli in Rußland; mit Bustransfer und einigen Haltepunkten geht es in die Gegend des russichen Onegasees. Unsere Gastgeber im Kenozero Nationalpark haben sich zur Aufgabe gemacht, die spirituellen Traditionen der Bauern respektvoll in einer modernen Entwicklung zu bewahren – gerade auch in der Zusammenarbeit mit den Naturgeistern.

http://www.kenozero.ru/en/

https://en.wikipedia.org/wiki/Kenozersky_National_Park

https://en.wikipedia.org/wiki/Koli,_Finland

 

[1] Zitiert nach: Herbert Seufert:

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Walaam

https://www.zeit.de/1993/31/einst-ein-athos-des-nordens

https://www.spiegel.de/reise/fernweh/russland-weisse-naechte-am-ladoga-see-a-199368.html

 

[3]

[4] Sigismund von Gleich: Marksteine der Kulturgeschichte

[5] Herbert Seufert:

[6] Vgl. Markus Osterrieder: Welt im Umbruch.

[7] Überliefert auch in Wladimir Lindenberg:

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Archipel_Gulag

In dokumentarischer Romanform: Alexander Solschenizyn: Der Archipel GULAG, sowie ganz frisch:

Zakhar Prilepin: Das Kloster (2014).

 

[9] Rudolf Steiner nennt Titurel als hinter den Drotten-Mysterien stehende Individualität.

 

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Pawel_Alexandrowitsch_Florenski

https://en.wikipedia.org/wiki/Pavel_Florensky

Pavel Aleksandrovič Florenskij: Die Ikonostase : Urbild und Grenzerlebnis im revolutionären Russland. Hrsg.: Ulrich. H Werner.

Stuttgart : Verl. Urachhaus, ©1988.

https://en.wikipedia.org/wiki/Zakhar_Prilepin

Linda Aronsen

  • Pavel Florenskij: Denken und Sprache.Edition Kontext, Berlin 1993, ISBN 3-931337-16-2.
  • Pavel Florenskij: Edition Kontext, Berlin 1994, ISBN 3-931337-17-0.
  • Pavel Florenskij: Raum und Zeit.Edition Kontext, Berlin 1997, ISBN 3-931337-29-4.
  • Pavel Florenskij: An den Wasserscheiden des Denkens. Ein Lesebuch. Auflage, Edition Kontext, Berlin 1994, ISBN 3-931337-05-7.
  • Appendix 1. Materialien zu Pavel Florenskij.Edition Kontext, Berlin 1999, ISBN 3-931337-31-6.
  • Appendix 2. Materialien zu Pavel Florenskij.Edition Kontext, Berlin 2001, ISBN 3-931337-35-9.

 

Eis und Algen: Briefe aus dem Lager 1933-1937 Gebundenes Buch – 2001

von Fritz Mierau (Herausgeber, Übersetzer), Sieglinde Mierau (Herausgeber), Pawel Florenski (Autor)

Die umgekehrte Perspektive Gebundenes Buch – 1989

von Pawel Florenski (Autor), Pavel Florenskij (Autor), Andre Sikojev (Übersetzer)

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-mit-giotto-kam-der-boese-blick-11313716.html

 

 

Archipel Solowki Taschenbuch – 15. Februar 2019

von Zakhar Prilepin (Autor), Erich Klein (Übersetzer)

https://www.amazon.de/Archipel-Solowki-Zakhar-Prilepin/dp/3906903095

https://www.vg.no/rampelys/bok/i/4dXQye/stor-russisk-roman-bokanmeldelse-zakhar-prilepins-klosteret

https://www.boktips.no/skjonnlitteratur/klosteret-paminner-oss-om-russlands-stolte-litteraere-tradisjoner/